Der Laternenmann, Stadtlichh Magazin 2016/2017
Text: Friedrich Weiß, Foto: Roeler
Cornelius Bless schaut sich erstaunt um: „Dienstagabend ist ja eigentlich der ruhigste Abend der Woche, aber heute ist ganz schön was los hier.“ Es ist 21 Uhr, die Luft im „Queer- beet“ in Ottensen ist rauchverhangen und die Gäste sind in Gesprähe vertieft oder schauen auf das Bierglas vor sich. Bless grüßt den Wirt, verstaut seinen Rucksack in einem Lagerraum hinter der Bar und setzt sich an den Tresen. Auf den Hocker neben sich stellt er sein Markenzeichen: eine große, altmodische Laterne, die mit Porträit-Fotos berühmter Dichter und Denker beklebt ist.
Auf dem Tresen liegt ein schmales rotes Kärtchen, ein Blumenmuster darauf rahmt den Spruch: „Günstige Winde kann nur nutzen, wer weiß, wohin er will – Oscar Wilde“. „Die muss jemand gestern liegen gelassen haben“, meint Bless nach einem kurzen Blick darauf. Er zieht ein Sortiment ähnlicher Karten aus einer Tasche und breitet sie vor sich aus. Sie sind bunt und verschieden gestaltet und auf jeder steht ein Aphorismus und dessen Urheber.
Bless handelt mit Geistesblitzen – so nennt er seine selbst gestalteten Kärtchen. Während er sie farblich zueinander passend auf seiner Laterne in eine Art Stoffnest drapiert, kommt ein Gast auf ihn zu, der zwei Sprüche für seine Tochter und sich ziehen will. Es folgt ein kurzes Gespräch, ehe der Gast gegen einen frei wählbaren Preis zwei Zettel zieht. In den Kneipen St.Paulis, Eimsbüttels und Ottensens ist Bless bekannt, denn er ist hier an fünf Abenden pro Woche mit seiner Laterne unterwegs – und das seit mittlerweile elf Jahren. „Damals hab ich das erste Mal solche Karten verteilt, das war auf einer privaten Party“, erinnert er sich. „Das war ein Versuch, ich wollte, dass die Leute auch mal auf andere Themen kommen.“ Er beobachtet, dass Menschen, die sonst nicht miteinander ins Gespräch kommen, sich plötzlich angeregt unterhalten und zieht kurz darauf auf der Altonale mit einem Korb voller Karten los. Wieder erstaunt ihn, wie aufgeschlossen Fremde auf seine Karten reagieren. Er sieht kurz darauf die Laterne in einem Laden, schmückt sie mit den Fotos und ist von da an als der Mann mit der Laterne unterwegs.
Seine bedächtige Art zu sprechen und die lang gezogenen Vokale deuten seine nord- deutsche Herkunft an: Bless kommt ursprünglich aus Dithmarschen und schon als 17-Jähriger weiß er, dass er Philosophie studieren will. Da er aber kein Abitur hat, macht er erst mal eine Ausbildung zum Erzieher und Diakon. Dann zieht er nach Hamburg, holt das Abitur nach und studiert ausführlich sein Wunschfach.
Nach dem Studium spielt er für zwei, drei Jahre mit dem Gedanken, einen Waldkindergar- ten zu gründen. Er befasst sich mit den Lehren der Reformpädagogin Maria Montessori und überlegt, wie man Kinder begeistern kann. Daraus entsteht ein Projekt, das er bis heute betreibt: Er sammelt Treibholzstücke an der Elbe und bearbeitet sie so, dass Kinder sie sowohl als Klanghölzer als auch als Bauklötze benutzen können. In den 90er-Jahren schreibt er viel, tritt bei diversen Poetry Slams und auch in Talkshows in München und Köln auf. Nach einer Veranstaltung kommt ein Erzieher auf ihn zu und fragt, ob er nicht auch mal etwas für Kinder schreiben könne. Er findet Gefallen daran und schreibt Reime zu über 40 Themen – bis heute sind daraus „ein paar hundert“ Reime geworden. Einen Teil davon hat er auch auf Karten gedruckt, mit denen geht er in Kinderkrankenhäuser und Schulen. Er verkleidet sich dann als „Kinderkunstpirat“, zieht sich bunt an und setzt einen Piratenhut auf, der von einem flügelschlagenden Papagei aus Pappmaché gekrönt wird.
Die meisten Menschen lernen ihn aber in seiner Rolle als Laternenmann im Hamburger Nachtleben kennen. Mit seinem breitkrempigen Hut, seinem langen, kantigen Gesicht, seiner Laterne und seiner bedächtigen Art wirkt er ein wenig wie ein aus der Zeit gefallener Ruhepol im lauten Treiben. Das solle man aber nicht als Scheu missverstehen. Er sei schon immer ein sozial aufgeschlossener Typ gewesen und war „von der Pfadfinder- und Jugendgruppe bis zum Fußballverein bei allem dabei“. Ihm gefällt, dass er auf seinen Touren mit ganz verschiedenen Menschen ins Gespräch kommt – vom Professor bis zum Klempner. „Ich hab aber nicht die Mission, andere Leute anzuquatschen“, stellt er klar, „ich halte nur die Laterne hoch.“ Mittlerweile erkenne er sowieso, ob Leute angesprochen werden wollen und ob er bei anderen ein Glücks- oder ein Störgefühl erzeuge.
Über die Jahre hat er mittlerweile 250 Sinnsprüche gesammelt. Stößt er beim Lesen – und er liest viel – auf ein neues Bonmot, markiert er es und trägt es in ein Notizbuch ein, wenn es bei ihm nachwirkt. „Ich hab die dann aber auch auf einem USB-Stick“, schiebt er nach und es klingt ein bisschen, als mache ihm dessen Verwendung ein schlechtes Gewissen.
Er wird auch immer wieder zu Anlässen eingeladen, etwa auf Hochzeiten, Hauseinweihungen, Geburtstage, aber auch zu Trauerfeiern und ins Hospiz. Für jeden Rahmen stellt er dann eine passende Auswahl an Sprüchen zusammen. Manchmal sprechen ihn Leute nach Jahren an und erzählen, in welcher Situation sie einen Spruch gezogen haben und was er ihnen bedeutet hat. So hört er Kennenlern-, aber auch Trennungs- und Abschiedsgeschichten. „Ich finde es schon wichtig, seine Möglichkeiten so einzusetzen, dass andere Menschen davon bereichert werden“, sagt Bless. Er ist froh, dass er etwas von dem, was er aus seinem Philosophiestudium für sich mitgenommen hat, an ganz unter- schiedliche Menschen weitergeben kann und erzählt: „Mir hat mal jemand auf der Straße gesagt: Mensch, toll, dass du da bist, ich hab mir dich gerade herbeigewünscht! So was bereichert dann natürlich auch wieder mich.“

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